Rundbrief Juri Bürgin

Unser Friedi Juri aus Gelsenkirchen berichtet in diesem Rundbrief seine Einrdürcke aus den ersten sechs Monaten seines FSJ in Nischni Nowgorod; viel Freude beim Lesen dieses Rundbriefs:

Die Hälfte ist schon rum. Ich lebe jetzt seit sechs Monaten in der Großstadt Nischni Nowgorod.

Den berühmten russischen Winter zu erleben war und ist immer noch ein Abenteuer für mich, hier herrschen im Januar Temperaturen von bis zu minus 40 Grad. Es waren ein kaltes, aber auch irgendwo spannendes Erlebnis trotz langer Unterhose, mehreren Pullovern und einer dicke Winterjacke noch zu frieren. In der zweiten Hälfe des Februars verbringe ich jeweils eine Woche in Helsinki und Tallin. Wenn ich dann wiederkomme ist es schon März und ich kann mich hoffentlich schon auf Frühling und Sommer freuen. Durch das kontinentale Klima, hier in Nischni, gibt es zwar einen kalten Winter jedoch auch einen sehr warmen Sommer. Mehrere Bewohner der Stadt haben wir erzählt, dass dann die Stadt erst richtig erwacht.

Ich lerne viel über die russische Mentalität und Lebensweise. Fast die komplette Bevölkerung von Nischni Nowgorod lebt in klassischen Blocks, es gibt kein Doppelhaushälften oder Einfamilienhäuser. Es werden auch weiter hin nur Blocks gebaut, die neuen finde ich fast noch hässlicher als die alte, sie haben nicht einmal diesen „Ghettocharme“.

Auffällig finde ich, dass die Russen den in Europa sehr verbreiteten Small Talk kaum führen. Entweder es gibt was zu besprechen oder halt nicht. Die Russen wirken oft sehr hart oder kühl, lernt man jedoch einzelne genauer kennen, sind sie sehr herzlich und gastfreundlich.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab es in Russland in den 90ern große Probleme mit Kriminalität und Armut. Seitdem Putin an die Macht ist geht es den Menschen besser, daher hat er einen großen Rückhalt in der Bevölkerung. Die Schere zwischen Arm und Reich ist in Russland ercshreckend weit auseinander, es gibt nur wenige sehr Reiche, der Rest ist verglichen mit Deutschland sehr arm. Gerade Migranten aus Zentralasien (Turkmenistan, Armenien…) haben geringe Aufstiegschancen. Genauso regt eine weit verbreitet Homophobie auf. Sogar in Diskussionen mit jungen Leuten bin ich bei diesem Thema teilweise auf erschreckende Meinungen getroffen.

Klassische russischen Gerichte wie Borsch, Piroggen oder Bliny schmecken mir sehr gut, manche Produkte wie leckeres Vollkornbrot oder frischen Gauda vermisse ich aber auch.

Ich habe den Eindruck, viele Menschen in Russland sind sehr religiös. Man findet fast in jeder Wohnung Bilder von heiligen und sogar öffentliche Gebäude oder Busse sind mit diesen Bildchen ausgestattet. Die russisch-orthodoxen Kirchen sind meistens übermäßig verziert. Ich frag mich jedoch ob das unbedingt so sein muss, da es in Nishni an vielen Stellen an Geld mangelt und diese detaillierten oft goldenen Verzierungen mit Sicherheit teuer sind. Außerdem sieht es kitschig aus.

Mein Großes Interesse an fast allen Sport ist selbstverständlich auch in Nischni erhalten geblieben. In Russland sind Eishockey und Basketball die beliebtesten Sportarten, Fußball wird auch gespielt aber ist lange nicht so populär wie in Deutschland. Das merkt man sofort: Bei uns sieht man oft Kinder und Jugendliche auf der Straße Fußball spielen, in Russland treffen sich viele zum Eishockey spielen. Dafür werden gefrorene Seen, öffentliche Eislauf Anlagen oder geflutete Basketballfelder benutzt. Ich finde es immer wieder spannend, diese Spiele zu beobachten und bin begeistert wie die teilweise sehr jungen Russen übers Eis flitzen. Leider habe ich es noch nicht geschafft mir ein Eishockey Spiel der Profimannschaft aus Nischni Nowgorod an zu sehen, das muss ich aber auf jeden Fall noch machen.

Ich besuche weiterhin zweimal die Woche ein Basketballtraining, daran habe ich viel Spaß und werde immer besser. Die Arbeit läuft gut, die Kinder in der Schule sind mir richtig ans Herz gewachsen. Auch die nachmittags Besuche bei den Invaliden machen mir Spaß. Ich nehme weiterhin zweimal die Woche an einem Sprachkurs teil und kann mich so langsam verständigen. Ich habe schon viele nette junge Leute kennengelernt, die sich für mich und meine Heimart interessieren. Mir geht es hier gut ich freue mich auf weitere sechs Monate in Nishni Nowgorod, aber natürlich vermisse ich auch meine Heimart das Ruhrgebiet. Ich bin jetzt schon gespannt wie es wohl ist ,wenn ich im August wieder nach Hause fliege; ob sich meine Stadt, meine Freunde oder ich verändert haben.