Rundbrief Frida Kaußen

Unsere „Frieda Frida“ Kaußen berichtet in ihrem dritten Rundbrief von den kleinen aber feinen Unterschieden zwischen Russland und Deutschland, die sie nach den bisherigen neun Monaten ihres Freiwilligendienstes in Nischni Nowgorod festgestellt hat. Vielen Dank für diese interessante Analyse und viel Spaß beim Lesen!

Hallo liebe Leser! Mein Name ist Frida Kaußen und ich leiste bereits seit September 2016 einen Freiwilligen Friedensdienst in Nischni Nowgorod in Russland.Wer  gerne wissen möchte, was genau das ist und was ich hier bisher alles so erlebt habe, der kann sich gerne meine ersten beiden Rundbriefe durchlesen. (Direkter Link hier)

Nun, nachdem beinahe drei Viertel meiner Zeit hier vergangen sind, wird es Zeit für meinen dritten Rundbrief und damit den letzten aus dem schönen Russland. Ich werde diesem Brief keinem übergeordneten Thema unterstellen, sondern einfach von den kleinen oder größeren Sachen berichten, die thematisch nicht so richtig in meine vorherigen Berichte gepasst haben, die ich vergessen habe oder die mir erst so richtig bewusst geworden sind, als ich beim Besuch meiner Familie aus Deutschland darauf aufmerksam gemacht wurde.

Also entschuldige ich mich bereits hier schon dafür, dass es nicht ein durchgängiger Bericht wird, sondern eher ein Flickenteppich aus Erfahrungen, Eindrücken und Erlebnissen, die ich mit Euch teilen möchte.

Wie ich bereits in einem vorherigen Bericht erwähnt habe, unterscheidet sich Russland im Allgemeinen gar nicht so sehr von Deutschland, es sind eher die Kleinigkeiten, die mir immer wieder bewusst machen, dass ich mich ja doch nicht in meiner Heimat, sondern in einem fremden Land befinde, auch wenn ich es inzwischen doch schon als meine Ersatzheimat ansehe.

Eine dieser Kleinigkeiten ist zum Beispiel die Tatsache, dass man sich auf dem Weg zu meiner Wohnung fühlt, als ob man ein Hochsicherheitsgebäude betritt. Zentimeterdicker Stahl und ein Ziffernfeld an der Eingangstür erinnern mich zumindest nicht an die unterschiedlichsten Haustüren aus Deutschland, oft verglast oder mit schönen Mustern und einer Gardine verziert. Im krassen Kontrast dazu stehen die vielen Werbeaufkleber für alle möglichen Dienstleistungen, mit denen die komplette Wand überklebt ist.

Um diese Tür zu öffnen benötigt man einen Magnetchip, der bei mir das öfteren leider auch mal nicht funktionieren will. Als Gast muss man bereits genau wissen, in welcher Wohnung man erwartet wird, denn in Russland gibt es keine Namen an der Klingel, alles ist komplett anonym, man kann nur die Wohnungsnummer auswählen. Bei meinem Haus sind das immerhin mehr als 250 Wohnungen, verteilt auf sechs verschiedene Eingänge.

Hat man es dann geschafft, das Gebäude zu betreten, erwartet einen ein ziemlich hässlicher Hausflur, bei dem man schon das schlimmste erwartet. Besonders im Winter war es dort immer dreckig, da die Mieter es nicht als ihre Aufgabe sehen, dort für Ordnung zu sorgen.

Zwar gibt es immerhin in eigentlich jedem Gebäude einen Aufzug, der für gewöhnlich auch funktioniert, allerdings muss man dafür erst einmal in den ersten Stock, da erst dort die ersten Wohnungen beginnen. Wie unglaublich nervig und undurchdacht das ist, kann ich jede Woche feststellen, wenn ich Olga besuche und sie in ihrem Rollstuhl erst ein Stockwerk mit gefühlt hundert Treppenstufen herunter- und später wieder herauftragen muss, um spazieren gehen zu können.

Auf dem Weg zum Aufzug kommt man an den Briefkästen vorbei; kleine graue Stahlkästen, gerade groß genug für einen Standardbrief, und auch nur mit der Wohnungsnummer versehen. Das heißt, jedes Mal, wenn ich ein Päckchen bekommen habe, bekam ich eine Benachrichtigung der nächstgelegen Poststation. Dort sind die Öffnungszeiten ähnlich ungelegen wie in Deutschland und man benötigt seinen Pass und muss einen Stapel von Papieren ausfüllen, um dann endlich sein Päckchen zu bekommen, dem man dann meistens ansehen kann, dass es mehr als einen Monat unterwegs war und das Interesse der Zollbeamten erweckt hat.

Bin ich dann nach einer Aufzugfahrt, die mir immer noch nicht so ganz geheuer ist, im siebten Stock angekommen, erwartet mich erst einmal eine Tür, welche zu meiner und der Nachbarswohnung führt. Diese ist tagsüber meistens geöffnet, wird allerdings jede Nacht abgeschlossen, sodass man immer an alle Schlüssel denken muss.

Auch unsere Wohnungstür ähnelt keiner, die ich ich aus Deutschland gewohnt war. Wieder zentimeterdicker Stahl, doch schaut man sich meinen Schlüssel an, kann man nur den Kopf schütteln über diese Sicherheitsmaßnahme. Dieser ist nämlich einfach nur ein umgebogener Metallhaken, den man ganz leicht aus einem Metallstab mit dem richtigen Durchmesser, den man mit einer Zange umbiegt, selber herstellen könnte. Für diese unglaubliche Einfachheit des Schlüssels gestaltet sich das Öffnen der Wohnungstür dann erstaunlich kompliziert; eine Fummelei, die ich erst nach ein paar Wochen so richtig raus hatte.

Zu ein paar anderen Sachen kann ich jetzt gar nicht so viel zu erzählen, aber ich möchte sie trotzdem gerne teilen, deswegen liste ich sie jetzt einfach nur auf.

Russen haben einen sehr schroffen Umgangston miteinander. Ich musste mich erst daran gewöhnen, dass sie nicht miteinander streiten, sondern sich nur ganz normal miteinander unterhalten.

Die Menschen telefonieren unglaublich viel. Wo man bei uns eine SMS schicken würde, da wird hier angerufen. Das gilt auch für jegliche Fahrer, sowohl von öffentlichen Verkehrsmitteln, als auch von Taxis. Dass ein Fahrer nur mit einer Hand den Wagen über eine mit Schlaglöchern gepflasterte Straße fährt und nebenbei lautstark am Telefonieren ist, ist nicht ungewöhnlich und stört hier auch niemanden.

Russland hat noch ein sehr traditionelles Rollenbild. Für viele Mädchen und junge Frauen in meinem Alter ist es unglaublich wichtig so schnell wie möglich einen Ehemann zu finden. Dementsprechend präsentieren sich auch viele. Das Klischee, dass Russinnen auch im tiefsten Winter im teuren Pelzmantel mit kurzem Kleid und hohen Schuhen herumlaufen, hat sich mir definitiv bestätigt. Auch wird man als Frau fast immer als erstes gefragt, ob man denn schon einen Mann hat.

Die Menschen haben ein anderes Verhältnis zu Geld. Hat ein Russe Geld, dann zeigt er es. Auch werde ich auf meiner Arbeit fast immer gefragt, wie viel ich denn verdiene.

Russen lächeln nicht viel. Auf der Straße schauen die Menschen immer etwas ruppig.

Es ist üblich, dass ein Mann im Bus für eine Frau aufsteht. Anders als in Deutschland wird sich eigentlich immer daran gehalten und wenn nicht, dann machen vor allem die älteren Frauen ihrem Ärger lautstark Luft, bis der Mann aufsteht.

Im Straßenverkehr wird so gut wie nie gehupt. Trotzdem habe ich bis jetzt nur einen einzigen Unfall erlebt. Sehr erstaunlich, bedenkt man dazu noch die glatten Straßen im Winter und den russischen Fahrstil.

Hier zahlt man einmalig beim Einsteigen in den Bus oder sie Straßenbahn 20 Rubel, etwa 33 Cent. Dafür kann man dann solange mitfahren, wie man will. Ist man in einer Gruppe unterwegs ist bei kurzen Strecken Taxifahren sogar oft billiger als eine Busfahrt.

Die meisten russischen Haushalte besitzen keine Spülmaschine.  Toilette und Badezimmer sind grundsätzlich getrennt.

Meistens darf man das Toilettenpapier nicht in die Schüssel werfen, da der Wasserdruck nicht ausreicht. Es gibt einen separaten Mülleimer.

Die Heizung wird zentral reguliert, was dazu führt, dass man die Temperatur nur mit Öffnen und Schließen der Fenster regeln kann.

In Russland gibt es keine Mülltrennung. Auch ein Pfandsystem gibt es nicht.

In vielen öffentlichen Orten und U-Bahnstationen gibt es Taschenkontrollen und alle Rucksäcke und größeren Taschen werden gescannt.

Zum Buchen einer Zugfahrkarte muss man alle Passdaten eingeben und diesen beim Einstieg auch vorzeigen.

An all diese Dinge habe ich mich zum Glück inzwischen gewöhnt und sie teilweise auch richtig zu schätzen gelernt. Manche kann ich nachvollziehen, andere wiederum überhaupt nicht, aber ich glaube, dass es genau diese Kleinigkeiten sind, die eine Kultur ausmachen und mein Leben hier erst so richtig interessant machen.

Ich hoffe, dass ich mit diesen mehr oder weniger alltäglichen Situationen und Gepflogenheiten noch einmal einen tieferes Bild von Russland zeigen konnte, welches man aus den Medien nicht mitbekommt.

Herzliche Grüße!