Praktikum in Nischni- Teil 1

Praktikum in Nischni- Teil 1

Seit Ende Mai befindet sich unser Mitglied und ehemaliger „Friedi“ Alexander Meyer für ein dreimonatiges Praktikum in Nischni Nowgorod. Seine ersten Eindrücke aus unserer Partnerstadt, dem Praktikum und dem Wirken unserer Gesellschaft vor Ort beschreibt er hier, weitere Berichte werden sicher folgen!

Ein Praktikum in Russland? Egal wem ich davon erzählte, alle konnten sich darunter nicht so richtig etwas vorstellen, aber fanden es irgendwie spannend. Und da es mir auch so ging, hatte ich mich ein halbes Jahr vorher entschlossen, damit das wahrscheinlich letzte Sommersemester meines Studiums zu verbringen.
IMG_7930Sechs Jahre nachdem ich meinen Zivildienst in Russland abgeschlossen hatte, wollte ich für das Praktikum nun in die Stadt zurück, in der ich nach dem Abitur ein durch und durch aufregendes, lehrreiches und schönes Jahr verbracht hatte, und mit der ich über meine Tätigkeit bei der Deutsch-Russischen Gesellschaft Essen e.V. weiterhin verbunden bin: Nischni Nowgorod. Traditionsreiche Handelsstadt, malerisch gelegen an der Kreuzung von Wolga und Oka.
Im Gegensatz zu Moskau oder St. Petersburg, wo es zahlreiche Praktikumsstellen gibt, gestaltete sich die Such danach in Nischni schwieriger. Umso desto größer war die Freude über die Hilfe der Stadtverwaltung der Essener Partnerstadt und das Angebot, ein Praktikum im „Department für öffentliche Beziehungen und Information“ zu absolvieren, das ich umgehend annahm. Die Vorbereitungen wurden nur durch die strengen Visa-Regularien – die gleichermaßen in der EU und in Russland für die jeweils andere Seite gelten – erschwert, Unterkunft und weiterer Papierkram ließ sich durch freundschaftliche Kontakte bestens regeln. Dazu habe ich nach sechs Jahren Abstinenz wieder Russisch-Bücher und neuere Apps zum Auffrischen der Sprachkenntnisse hinzugeholt.

Interessanterweise kam mir nach der Landung in Moskau alles vertraut vor und ich lief altbekannte Wege ab: Metro, Nachtzug, Taxi zum Studentenwohnheim der Linguistischen Universität, Frühstück kaufen im Sparmarkt. Auch in der Stadt hatte sich auf den ersten Blick wenig verändert: Ein paar neue Geschäfte haben zwischen bewährten Filialen und Produktis, den russischen Kiosken, ihren Platz gefunden. Die Marschrutkas wackeln lärmend um die altbekannten Kurven und der Wachmann im Wohnheim will mich erst mürrisch rausschmeißen und grüßt nach meinem Einzug jedes Mal freundlich und interessiert.

IMG_7928Natürlich ist nicht alles wie immer: die kommende FIFA-WM wirft mit einem Stadionrohbau an repräsentativster Stelle, Metro-Neubauten und allerlei Plakaten ihre Schatten voraus. Um das Stadtzentrum herum haben sich viele Hipster-Restaurants und wirklich schicke Cafés etabliert. Und entsprechende Apps helfen einem ohne großen Datenschutz umfassend sich zurechtzufinden, ein Verfahren oder –laufen ist damit idiotensicher ausgeschlossen.

An meinem ersten Arbeitstag werde ich zunächst sehr freundlich und offiziell begrüßt, klassisch russisch bei einer Tasse Tee und Konfekt. Beim Gang zum Nischni Nowgoroder Kreml, wo meine Abteilung sitzt, bin ich doch etwas nervös, da mir kurz vorher gesagt wurde, dass ich wohl der allererste Ausländer bin, der in der Stadtverwaltung ein Praktikum macht. Dieser Umstand macht aber wohl nicht alle nervös, in meinem „Department für Öffentliche Angelegenheiten und Information“  sind alle leicht überrascht, dass ich schon vor Ort bin und bieten mir auch erst einmal Tee an. Nach ein bisschen Zeit kommen aber bald ein paar Ideen zusammen, was ich in den nächsten Tagen so alles machen und sehen könnte.

Eine dieser Ideen passt mir dabei hervorragend: Zum anstehenden Weltkindertag soll ich eine kleine Reportage über die Kinder schreiben, in denen die aktuellen Friedis arbeiten. Schon am nächsten Tag mache ich mich mit Carl auf zur Schule Nr. 86, wo bereits der letzte Schultag ansteht.

IMG_7974Gleich werde ich mit Carl herzlich begrüßt, alle freuen sich über neuen Besuch. Mir fallen direkt die moderne Ausstattung sowie die ruhige Atmosphäre auf, in der die Kinder mit verschiedensten und verschieden schweren Behinderungen lernen. Die Schule war zu meiner Zeit noch keine Arbeitsstelle für die Essener Freiwilligen, trotzdem finde ich mich direkt im Raum der Klasse 5 zurecht und kann den Kindern ein bisschen beim Lesen und Schreiben helfen. In den Pausen bin auch direkt beim Ballspiel eingebunden und selbstverständlich decken die Kinder für mich den Tisch zur abschließenden Tee-Runde mit. Einmal Friedi immer Friedi. (Den Bericht auf Russisch und mit weiteren Bildern finden Sie hier.)

Zurück im Kreml gibt es nicht mehr viel für mich zu tun, außer die Kollegen kennen zu lernen und den obligatorischen Tee zu trinken. Die meisten im Pressestab der Stadtverwaltung haben Journalismus studiert und sind über Pressestellen in den Stadtteilen von Nischni zur zentralen Stelle aufgestiegen.

IMG_7980Das merke ich bei einem sehr interessanten Termin am kommenden Tag: Da am 1. Juni die Strände in Nischni offiziell eröffnet werden, gibt es einen medienwirksamen Kontrollgang einer städtischen Delegation unter Leitung des Technischen Direktors.  Gemeinsam mit Svetlana aus dem Pressestab bin ich mittendrin in der Journalistengruppe. Neben Lokalreportern gibt es einen zusätzlich zum Pressestab einen „Operator“ der Stadt, da durch ein neues Gesetz alle Behörden verpflichtet sind, den Bürgern relevante Themen zu präsentieren. Dies ist für die vielen ländlichen Gebiete sicherlich nicht unerheblich (Staatsferne von Medien ist ein eher wenig kontrovers diskutiertes Thema), aber in Nischni mit einigen Lokalreportern ist das eher unnötig. Trotzdem Ruslan macht seine Sache engagiert und gut.

Zum Treffpunkt am Strand an einem ruhigen Nebenarm der Wolga fahren Svetlana, Ruslan und ich mit dem städtischen Fahrdienst  schon am frühen Morgen. Idyllisch liegt der Strandplatz da zwischen vielen Bäumen abseits der großen Straßen, die Hütten und Spielgeräte wurden russisch renoviert (frisch bemalt) und zwei aufgeregte Wächter hängen noch schnell Banner mit Verhaltensregeln auf. Den Strand haben sie weitgehend aufgeräumt, aber auf den ersten Blick sind besonders im Wasser noch Flaschen und anderer Müll zu sehen. Ich lerne zwei weitere Fernsehteams kennen, sie fangen ein paar Bilder ein, für Sie ist dies nur ein Standardtermin. Und plötzlich kommt Bewegung in die Idylle: Die städtische Delegation ist da.

Insgesamt 10 Leute aus verschiedenen Bereichen der Verwaltung (Katastrophenschutz, Feuerwehr, Ökologischer Dienst etc.) springen aus dem Bus und inspizieren die Lage. Alle sind angetan und beglückwünschen sich zum schönen Strand, auch wenn das kalte Wetter weniger zum Baden einlädt. Nur der Mann vom Katastrophenschutz stapft unzufrieden in seiner Warnweste umher, und das nicht ohne Grund: Schnell sieht er den Müll im Wasser und als er eine Glasscherbe im Sand findet, sind alle in Aufregung. Sofort wird ein sichtlich eingeschüchterter Wächter herbeizitiert, der sich rechtfertigt, dass er hier nur bis 19 Uhr Dienst hat und dann keinen Einfluss auf „Hooligans“ hat, die hier ihr abends Unwesen treiben. Es folgt eine lange Belehrung, die anschließend nochmal für die TV-Teams verkürzt wiederholt wird. Der Wachmann gelobt alle Ratschläge zu befolgen, dann ist die Sache aus der Welt. Anschließend müssen er und der Technische Direktor nochmal Statements für die Kamera abgeben; die Unterschiede in der Sicherheit im Umgang mit den Medien könnten kaum größer sein.

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Als alles im Kasten ist, zieht der Tross weiter zum nächsten Strand. Hier gibt es keinerlei Beschwerden, darum interviewt der Technische Direktor kurzerhand eine Familie zu ihrer Meinung am Strand. Alle sind zufrieden und wollen bei gutem Wetter täglich hier schwimmen; damit sind Delegation wie Journalisten zufrieden und der Außentermin kann beendet werden. Insgesamt ist schon glaubwürdig zu sehen, dass sich alle Stellen der Verwaltung bemühen, für die Bürger der Stadt zu arbeiten und Verbesserungen herbeizuführen. Für mich als Student der Politischen Kommunikation sind dabei die Kommunikation und Darstellung dabei aber besonders interessant und wirken für für den neutralen Beobachten doch irgendwie gut inszeniert.